LSBTI-Flüchtlinge bedürfen unserer Solidarität - Landesverbände der Lesben und Schwule in der SPD lehnen „sichere Herkunftsstaaten“ ab

05. Februar 2016

Zahlreiche Landesverbände der AG Lesben und Schwule in der SPD lehnen die geplante Einstufung Algeriens, Marokkos und Tunesiens zu so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ entschieden ab. Gerade Menschen, denen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung wegen Verfolgung und Verlust der körperlichen Unversehrtheit drohen, wird hierdurch ihr Grundrecht auf Asyl erschwert. Durch den intensiven Kontakt vor Ort mit betroffenen lesbischen, schwulen, bi-, trans- oder intersexuellen (LSBTI) Asylsuchenden weiß man in den Landesverbänden um die besondere Lage dieser Menschen.

So erläutert Dirk Lamm, AG-Vorsitzender aus Brandenburg: „Gerade das Einstufen der genannten Maghreb-Staaten zu sogenannten ‚sicheren‘ Herkunftsländern ist für uns mit Blick auf die Situation der dort lebenden LSBTI inakzeptabel. In allen Ländern bestehen gesetzliche Regelungen, die einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen unter Strafe stellen. Diese Gesetze werden auch aktuell angewandt und entsprechende Strafen vollstreckt. Queere Menschen müssen dort daher unter der ständigen Angst leben, verurteilt und bestraft zu werden.“

Michael Blödel, AG-Vorsitzender des bayrischen Landesverbandes hebt hervor, dass Menschrechtspolitik nicht dem Wunsch einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen geopfert werden dürfe. Mit Blick auf die Aussage des LSU-Vorsitzenden, Alexander Vogt, dass in Deutschland große gesellschaftliche Einigkeit darüber herrsche, den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen, mahnt er an: „Man sollte bei den Themen Flucht und Asyl nicht den Stammtisch bedienen und von Überforderungen der Gesellschaft fabulieren und gleichzeitig erwarten, dass derselbe Stammtisch dann LSBTI-Rechte unterstützt.“

Auch Sachsens Vorsitzender, Oliver Strotzer, findet mahnende Worte: „Mit Sorge erinnere ich mich an den Vorstoß von CDU-Vize Thomas Strobl aus dem letzten Jahr, Menschen vom Recht auf politisches Asyl auszuschließen, wenn die Anerkennungsquote bei Bewerberinnen und -bewerbern aus ihrem Land höchstens bei ein oder zwei Prozent liege. In Kamerun droht etwa Homosexuellen bis zu fünf Jahre Haft; die Gesamtschutzquote des letzten Jahres betrug jedoch nur ca. 1,2%. Hier wird deutlich, dass eine pauschale Bewertung nach der Herkunft alleine nicht möglich ist. Menschenrechte sind kein statistisches Mittel! Der Kern unseres im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechts auf Asyl liegt in einer inhaltlichen und individuellen Behandlung.“

Wie die Situation von LSBTI in den Maghreb-Staaten im Einzelfall aussieht, weiß Markus Pauzenberger, Landesvorsitzender der queeren Sozialdemokratinnen und -demokraten in Berlin, zu berichten: „Vor dem weltberühmten Hassan-Turm in Marokko haben im Sommer 2015 zwei Männer ein Erinnerungsfoto gemacht. Da sie in den Augen der Behörden zu nahe bei einander standen, wurden sie wegen Homosexualität und Obszönität zu vier Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Zwei französische Aktivistinnen, die sich vor dem Turm geküsst hatten, wurden übrigens ebenfalls sofort festgenommen und des Landes verwiesen. Das Strafrecht in Marokko sieht wie in Tunesien bis zu drei Jahre Haft für homosexuelle Aktivitäten vor; ebenso in Algerien, wo auch die ‚Zurschaustellung‘ und ‚Propaganda‘ von Homosexualität strafrechtlich verfolgt wird. Hier von sicheren Staaten zu sprechen, ist nicht nur unangebracht, sondern schon zynisch!“

Diese Einschätzung teilt man auch in Nordrhein-Westfalen. Landesvorsitzender Fabian Spies war jahrelang im LSVD für das Thema Migration tätig und ist daher mit der Problematik LSBTI als Fluchtgrund vertraut. Er kommentiert: „Das Besondere an der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat liegt in einer Art Beweislastumkehr. Asylbewerberinnen und - bewerber müssen nachweisen, dass eine Verfolgung bzw. Bestrafung konkret stattgefunden hat. Das bloße Bestehen und Vollziehen von LSBTI-feindlicher Gesetzgebung alleine reicht hier nicht aus, um Asyl zu erhalten. Diese Praxis gefährdet schon jetzt die körperliche Unversehrtheit vieler queerer Menschen in Senegal, in Ghana oder auf dem Balkan, weil ihnen Zuflucht erschwert wird. Daher haben wir in NRW unsere diesjährige CSD-Kampagne unter das Motto ‚Willkommen‘ gestellt, um hier ein klares Zeichen zu setzen und auf die besondere Situation von LSBTI-Flüchtlingen hinzuweisen.“

Die Landesverbände Bayern, Berlin, Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen der AG Lesben und Schwule in der SPD, fordern alle aktiven Sozialdemokratinnen und demokraten auf, sich dafür einzusetzen, dass auch trotz bestehender Herkunftsstaatenregelung, der individuelle Charakter des Asylrechts erhalten bleiben. Gerade Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität verfolgt und bedroht werden, bedürfen weiterhin unseres Schutzes und unserer Solidarität!

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